
Der aus Neu-Anspach stammende Maximilian Paulus coacht das US-Handball-Nationalteam der Altersklasse U19.
Als wäre der Werdegang eines Handballers aus dem Taunus zum U19-Nationaltrainer der Vereinigten Staaten nicht schon kurios genug. Es ist keineswegs übertrieben, Folgendes zu behaupten: Der derzeitigen Aufgabe von Maximilian Paulus, 31, aufgewachsen in Neu-Anspach und Schmitten, mittlerweile in San Francisco lebend, kommt eine größere, übergeordnete, ja fast schon globale Bedeutung zu.
Handballer in den USA zu sein, ist so ähnlich wie Baseballer in Deutschland: Man betreibt einen Nischensport, den kaum einer kennt. Nur werden die nächsten Olympischen Spiele eben in Los Angeles über die Bühne gehen – und bis dahin wäre es nicht so schlecht, wenn Handball im Gastgeberland wenigstens ein wenig bekannter sein würde.
Der Gesamtkontext, in dem Trainer-B-Lizenz-Inhaber Paulus, den alle Max rufen, seinen ehrenamtlichen Job verrichtet, lässt sich in etwa so zusammenfassen: Die Internationale Handball-Föderation (IHF) ist seit den Sommerspielen in Paris etwas in Sorge, befinden sich doch inzwischen auch etablierte Sportarten auf dem Prüfstand des Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Das ist mehr denn je um eine Modernisierung des größten globalen Sportereignisses bemüht. Disziplinen wie Klettern, Breaking oder 3×3 Basketball sollen ein jüngeres Publikum ansprechen.
»Man erzählt sich, dass das Spektrum bei Olympia von der maximalen Teilnehmerzahl für die Spiele abhängt. Und anstelle einer Teamsportart wie Handball könnten theoretisch gleich mal zwei, drei neue Disziplinen ins Programm aufgenommen werden«, sagt Paulus dazu. Handball hat seine Wurzeln und den Schwerpunkt in Europa, recht etabliert ist der Sport noch in ein paar südamerikanischen, nordafrikanischen und asiatischen Ländern. Das war’s – und ist mittelfristig zu wenig? »Die IHF hat natürlich ein Interesse daran, dass der Handball größer wird, vor allem hier, weil es ein Problem geben könnte, wenn 2028 die Einschaltquoten ganz unten sind«, lautet zumindest Paulus Einschätzung. Und da kommt der Mann aus dem Taunus ins Spiel.
Los ging es bei der SG Anspach
Max Paulus begann mit dem Handballspielen einst bei der SG Anspach, spielte in der Jugend auch kurz für die TSG Oberursel und TSG Münster. Seit dem Abitur entfernte er sich immer weiter von der Heimat, vom Synthetik-Lederball konnte er aber nicht die Finger lassen. Für sein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens und Elektrotechnik ging’s nach Stuttgart, Karlsruhe und München – und immer wenn er mal daheim war, verstärkte der Rückraumspieler die damalige Mannschaft der HSG Anspach/Usingen. Selbst ein Kreuzbandriss im Knie (2016) und der Umzug für einen weiteren Studiengang in die USA (zum Master, 2018) hielt ihn nicht davon ab, seinem Lieblingssport treu zu bleiben. In San Francisco angekommen, habe er mal nach Handball-Teams gegoogelt – und stieß auf nicht mehr und nicht weniger als den US-Meister, die San Francisco CalHeat.
Der Vereinsname soll im übertragenen Sinne für die Hitze in Kalifornien stehen. Der Deutsche schloss sich einer »wilden Mischung« aus Gleichgesinnten an, wie er schnell feststellte: ausgewanderten Europäern, die einfach weiterhin Handball spielen wollten. In einer Turnierserie, vergleichbar mit dem System im hiesigen Beachhandball, können sich die Teams für das Finalturnier um die USA-Meisterschaft qualifizieren. Freilich bedeutete das für Paulus und Co., die 2022 und 2023 erneut den Titel gewannen, jeden Monat eine Flugzeugreise. Das bezahlen die Spieler zu großen Teilen selbst, werden die überschaubaren Zuwendungen in seinem Verein doch eher für Trainer und Jugendförderung ausgegeben.
Womit wir bei der eigentlichen Profession vom Kapitän des Männerteams wären: Seit drei Jahren stellt Paulus gemeinsam mit Sören Müller, ebenfalls ein Auswanderer, der einst in Frankfurt-Seckbach spielte, die A-Jugend zusammen. Die Mannschaft muss man sich wie eine Regionalauswahl der Bay Area rund um San Francisco verstellen könne. Der Verein organisiert in Schulen eine Liga für die Altersklassen 10 bis 14 sowie 15 bis 18 Jahre.
Wer noch mehr Lust auf Handball hat, spielt unter Paulus dann in der U19 – und wer richtig Talent hat, kann auch zu internationalen Turnieren reisen. In den Nationalkader schaffen es freilich meistens US-Amerikaner, die in klassischen Handball-Ländern Europas diesem Sport nachgehen, vom Trainerteam über das Internet aufgestöbert und rekrutiert werden – und nicht zuletzt das nötige »Kleingeld« besitzen, zu den Turnieren dann auch zu kommen. Das sind dann auch die wichtigsten Fragen: Hast du die Zeit und das Geld? Mehrere tausend Euro kommen da schnell zusammen, auch die Trainer sind reine Ehrenamtler.
»Eigentlich ist Handball der einfachste Weg für einen US-Amerikaner, an Olympia teilzunehmen«, sagt Paulus. Wenn’s denn jemand wüsste. »Wir versuchen zum einen, unsere Nationalmannschaften besser, aber auch – im überschaubaren Rahmen – den Handball größer zu machen. Wir reden von ein paar Dutzend Kindern pro Jahr«, gibt Paulus zu. Aber immerhin. Und aller Ehren wert. Denn Max Paulus war mit seinem Nachwuchsteam dieses Jahr bereits zweimal in Skandinavien, kam mit seiner Mannschaft für die U19-Weltmeisterschaft fünf Tage früher in Kairo zusammen, um sich für das Turnier noch einspielen zu können. Die meisten Spieler sind ja noch nie zusammen aufgelaufen. Er sei Mitarbeiter eines Start-up-Unternehmens und arbeite dann eben von unterwegs, zeitversetzt. Wenn er nicht gerade in der Halle steht, Verbandszeug oder Waschmittel für seine Spieler einkauft.
Mega-Aufwand, alles selbst bezahlt
Max Paulus sagt über sich: »Meine Qualifikation ist hauptsächlich, dass ich mir die Zeit nehme, das alles zu organisieren.« Aber hallo: Der Mann betreibt einen Mega-Aufwand für einen in den USA kaum wahrgenommenen Sportverband, der gerade mal zwei hauptamtliche Mitarbeiter hat. Von richtigen Investitionen in den Handball ist man meilenweit entfernt, Olympia hin, Olympia her. Wenn’s 2028 der ein oder andere seiner Spieler in den Kader schafft, hätte Paulus schon viel gewonnen.
Apropos, gewinnen: Siege können die US-amerikanischen Handballer tatsächlich mittlerweile aufweisen. »Wir erhalten zwar wegen L.A. 2028 Wildcards für die Weltmeisterschaften, haben uns aber auch tatsächlich qualifiziert.« 2023, bei der vorigen U19-WM in Kroatien, konnte ein 33:26 über Burundi bejubelt werden. Gegen Deutschland gab’s dagegen beim 15:46 kostenlosen Anschauungsunterricht. »Megainteressiert« sei sein Kollege Alexander Koke aber am US-Handball gewesen. Überhaupt sei es super angenehm, der globalen Handball-Community anzugehören.
Nur ein Beispiel, das der Mann aus dem Taunus erzählt. Als CalHeat in Saudi-Arabien bei der Club-WM mitspielte und auf das turmhoch überlegene Champions-League-Team von Industria Kielce traf, mit Keeper Andi Wolff auf der Bank, machte Paulus auf Halblinks nicht nur ein Tor für die Ewigkeit. Nach Rückpass, zwischen eins und zwei durchgetankt, wie die Handballer sagen. Alex Dujshebaev, spanischer Weltklassespieler im Trikot der Polen, habe während des Spiels dann mit dem ehrfürchtig vor ihm den Ball abspielenden US-Linksaußen das Gespräch gesucht – und ihm quasi einen freien Torwurf angeboten. Aber so, dass es Dujshebaev Trainer nicht merkte. Der US-Spieler nahm erfreut und aufgeregt an.
Der Umgang unter Handballern sei immer von Respekt und Nahbarkeit geprägt. Egal, auf welchem Level man spiele und wie hoch die Leistungsunterschiede seien, sagt Max Paulus, einer der Pioniere des US-Jugendhandballs. Diesen Faktor sollten die Herren des IOC bei der Auswahl der olympischen Sportarten auch mal berücksichtigen.
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Quelle: https://www.usinger-anzeiger.de/sport/lokalsport/us-nationalcoach-aus-neu-anspach-93890929.html